Samstag, 5. Juni 2010

Comenius Große Didaktik – Alles wird gut!

Die zentrale Botschaft aus dem Ankündigungstext von Comenius Großer Didaktik komprimiert sich für mich in genau diesen Worten: Alles wird gut! Comenius verspricht einen effizienten und sicheren Weg, wie Lehrende ihre Bildungs- und Erziehungsaufgabe erfüllen können. Ein solches Heilsversprechen lässt mich immer gleich kritisch werden:
Wie kann Comenius eine Didaktik versprechen, die alle die in real auftauchenden Lehr-Lern-Prozessen vorhandenen Probleme wie unterschiedliche Lernausgangslagen, Lernwege, Ressourcen, etc. mit einbezieht? Natürlich kann in einer Allgemeinen Didaktik nicht jeder Einzelfall bedacht werden….Das Problem lässt sich lösen, wenn man Comenius Ankündigung als Vorgänger einer konstruktivistischen Didaktik sieht (wie es bereits schon einige meiner Mitstreiter getan haben). Hierzu verleitet vor allem die Textpassage „die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen“. Ich muss an dieser Stelle allerdings anmerken, dass mir dieser Gedanke bei erstmaliger Lektüre des Ankündigungstextes nicht gekommen ist. Denn: die Folge einer konstruktivistischen Didaktik ist ein individualisierter Unterricht. Hierzu findet sich nichts im Text von Comenius (zumindestens nicht in der Ankündigung!). Ebensowenig findet sich der Grundgedanken des Konstruierens nicht wieder. Vielmehr lassen sich Comenius Betonung der Effizienz („Rasch, angenehm und gründlich“) sowie seine Ausführungen zur Art und Weise wie gelehrt werden soll (insb. im Hinblick auf die Reihenfolge und den Weg) auch so deuten, dass seine Didaktik weniger Spielräume für Lehre und Lernen lässt, als der Konstruktivismus es erfordert. Bei letzterem muss es nämlich auch möglich sein Umwege oder Schleifen zu gehen – eben individuell. Ist Comenius Didaktik also wirklich konstruktivistisch geprägt (wie gesagt: allein vom Ankündigungstext her)? Die Optimierung von Lehr- Lernprozessen (weniger lehren, mehr lernen) ist ja auch der Ausgangspunkt des Frontalunterrichts gewesen, oder?

Gut. Ausgangspunkt meiner Überlegungen zu Comenius war die Frage, ob ich auch heute noch – in Zeiten hoch technologisierten Lehrens und Lernens solche Erwartungen an eine Didaktik stellen würde, wie Comenius sie in seiner Ankündiung zu erfüllen verspricht. Hierzu gleich eine Gegenfrage: befinden wir uns denn wirklich schon in Zeiten hochtechnologisierten Lehrens und Lernens? Ich möchte das noch etwas bezweifeln. Klarstellung: natürlich befinden ist hochtechnologisiertes Lernen und Lehren möglich, und die WBT, CBL, etc werden hoch gehandelt. Doch wie sieht denn die Alltagsrealität aus? Gerade im Hinblick auf die Schule – wo beispielsweise Whiteboards oder Smartboards gerade erst Einzug halten (und dann vielleicht eines pro Schule!)– wage ich das doch sehr zu bezweifeln. Geht man vom Schulalltag weg – bspw. in den Bereich der betrieblichen Erwachsenenbildung oder universitären Bildung kann ich diese Aussage als „Online-Studentin“ schon eher unterschreiben… Vielleicht befinden wir uns vielmehr noch in einer Phase, in der das hochtechnologisierte Lehren und Lernen – ähnlich Comenius Didaktik – als Ideal in prophetischer Ferne oder auch Nähe liegt. Technologisiertes Lehren und Lernen verspricht – mit dem ihm inhärenten Möglichkeiten – ähnliches wie Comenius: allen alles allumfassen vermitteln zu können (und dabei auch noch individualisiert) (an dieser Stelle in kleines Dankeschön an Christians Beitrag). Aber stimmt das wirklich? Warum sprechen wir dann z.B. von der „Digital Divide“? Kann technologisiertes Lehren und Lernen wirklich „Standesgrenzen“ – wie Comenius es vorschlug – überwinden?

Doch zurück zur Fragestellung: Würde ich auch heute noch solche Erwartungen an eine Didaktik in Zeiten hochtechnologisiereten Lehrens und Lernens stellen? Würde ich überhaupt so eine Erwartung an eine Didaktik stellen, ist für mich die Frage die dahinter steht. Denn – obwohl noch ganz am Anfang meiner eigenen didaktischen Überlegungen, bin ich der Überzeugung, dass „nur“ durch die Veränderung (oder Weiterentwicklung) der Methoden Didaktik – bspw. aufgrund ihrer Legitimations- oder Orientierungsfunktion – nicht obsolet wird. (Allgemeine) Didaktik dient der Erforschung, Erklärung und Strukturierung von Lehr- und Lernprozessen jeglicher Coleur mit dem fortwährenden Ziel der Optimierung. Sie bemüht sich um eine Totalerfassung Feldes (also auch hochtechnologisiertes Lehren und Lernen) um dieses für den Lehrenden handhabbar zu machen. Sie ist Instrumentarium des Lehrenden für die Organisation des eigenen Lernprozesses (Ordnung des Erfahrungswissens). Damit ist sie eine wichtige Hilfestellung – aber kein Heilmittel.

7 Kommentare:

  1. Aloa Tess; Du merkst an, dass Comenius nicht ausdrücklich auf das individualisierte Lernen abhob. Comenius war jedoch als Humanist und Wegbereiter der europäischen Aufklärung unterwegs. Da wurde ja ein Menschenbild an den Start gebracht, das nicht die Gruppe, sondern den EINZELNEN als in Vernunft und Selbstverantwortung handelndes (und lernendes) Wesen in den Blick rückte. Gut, Erzkontruktivist war Comenius nicht, weil es die historische Rahmung nicht hergab und er im Zweitberuf Theologe war, ab er hat eine sehr deutliche Spur gelegt.

    Noch einen Mecker: Du bezweifelst, dass wir uns in Zeiten hochtechnologisierten Lehrens und Lernens befinden. Das Vorhandensein interaktiver Whiteboards und anderer Medien im Unterrichtskontext scheint mir für die Beurteilung nicht so wesentlich. Wir müssen vielmehr berücksichtigen, dass außerunterrichtliche Einflussfaktoren der medialisierten Umwelt heue prägend für die Art der Informationsaufnahme, für das Lernen sind (Multitaskingfähigkeit, gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit bei Bewegtbildern, andere Aufmerksamkeitsschwellen usw.)

    Also die Lehrperson muss bspw. keine YouTube-Videos einsetzen, sondern "nur" im Unterricht berücksichtigen, dass die Lernenden welche sehen und wissen, wie sie damit umgehen und das beim lehrenden Handeln nutzen. Was den konkreten Medieneinsatz im Unterricht angeht, das sprichst Du natürlich wahr, da besteht noch großer Nachholbedarf. Für die Medienkompetenz der Lehrenden gilt Ähnliches ... Vielleicht bezeichnet "HochtechnologieGEPRÄGTES" Lernen die aktuelle Situation treffender.

    Mancher Rentner wird da HighTechLearning-technisch besser versorgt (Insiderscherz für Brainwalkers only) :)

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  3. ...ich denke, dass christian, der in seinem voran gegangenen kommentar einen bezug zur aufkommenden aufklärung hergestellt hat und damit eine zeit- und geistesgeschichtliche verortung liefert, eine wichtige grundlage zu bewertung von von comenius' thesen aus heutiger perspektive anspricht. klerus und adel im 17 jh. werden noch mehr als 100 jahre nach dem erscheinen der "grossen didaktik" mit aller macht zu verhindern versuchen, dass es einen offenen zugang zu bildung und wissen für eine breitere schicht der bevölkerung gibt. ganz zu schweigen davon, dass es nochmals mehrere hundert jahre braucht, bis das geschlechterbezogene ungleichgewicht - was den bildungszugang anbelangt - langsam zu verschwinden beginnt. ein (bildungs-)problem das auch heute noch längst nicht in jedem land beseitigt worden ist.

    ich sehe unter dieser historischen perspektive die forderung von comenius nach einem standes- und geschlechterunabhängigen zugang zu bildung als immer noch sehr revolutionär an. natürlich konnte er die heutigen bedingungen eines zunehmend demokratischen zugangs für immer mehr menschen zu information und wissen nicht vorhersehen bzw. so konkret im kopf gehabt haben. letztlich braucht es aufgrund der technischen entwicklung keine für das volk unbezahlbare 65-bändige universal-enzyklopädie mehr, sondern "nur noch" ein paar cent für den zugang zum globalen informationsnetz im nächsten internet-cafe. klar ist natürlich auch, dass es hierfür wieder infrastruktur und angepasste lehr-lern-systeme (strategien zur wissenbeschaffung und -organisation) braucht, die überhaupt erst den zugang und umgang ermöglichen, aber ein wesentlicher anfang zur einlösung seiner these "allen menschen alles lehren" ist meiner meinung nach schon gemacht, wenn man unter "lehren" - etwas freier interpretiert - "zugang ermöglichen" versteht, dass er ja auch mit "weniger lehren und mehr lernen" u. u. gemeint haben könnte...

    - gruß christoph -

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  4. Ich möchte nur einen Punkt rausgreifen und Dir indem auch voll zustimmen (wenn ich Dich richtig verstanden habe :-)):
    "Weniger lehren, mehr lernen" führt nicht automatisch zum Konstruktivismus. Und entsprechende Ansätze kann ich - wie Du - ebenfalls nicht erkennen.

    Interessant fand ich auch, dass Du das hochtechnologisierte Lehren und Lernen infrage stellst. Auch hier hast Du wieder meine volle Zustimmung. Bloß, weil in der Küche jetzt ein Zeranfeld mit Elektroniksteuerung ist, hat sich die Zubereitung und das Essen über Jahrzehnte oder vielleicht sogar über größere Zeiträume nicht wirklich dramatisch verändert.

    Gruß

    Joachim

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  5. Liebe Hanne,

    spannend, gerade eben habe ich bei Udo auch einen Hinweis zum Digital Divide kommentiert (und ich gelobe, ich habe nicht abgeschrieben;) - ich kann Deine Skepsis bzgl. der 'Versprechungen' nachvollziehen - und brauche mich ja jetzt gar nicht mehr für Comenius einsetzen, weil das meine Vorredner schon gemacht haben ;). Ich finde es nur sehr spannend, dass Comenius schon damals Fragen gestellt hat bzw. Forderungen aufgestellt, die uns auch heute noch beschäftigen.

    Herzliche Grüße
    Britta

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  6. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  7. Hallo an alle,

    danke für die Kommentare, die mich nochmals sehr zum Nachdenken angeregt haben!

    Christian,
    dem hochtechnologiegeprägtem Lernen kann ich voll zustimmen. Du greifst einen wichtigen Punkt auf, indem Du betonst, dass Lehrende vor allem berücksichtigen müssen, dass sich durch die neuen Medien unsere Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsmuster verändern. Medienkompetenz ich hör dir trapsen....

    Natürlich sollte man Comenius im Kontext seiner Zeit sehen (War aber nicht die Aufgabenstellung. Die hat ja provokant formuliert, dass man sich rein auf den abgedruckten Ankündigungstext beziehen soll). Ich bin mir aber trotz dem Individualitätsgedanken der Aufklärung nicht sicher, dass man diesen einfach so auf individualisierten Unterrichten ausdehnen kann. Individualisierung in Zeiten der Aufklärung bedeutet doch vor allem die Verwirklichung (und Bildung) des Selbst. Das sagt mir aber noch nicht, dass der Lern- oder Bildungsprozess als individuelle Konstruktionsleistung gesehen wird. Das ist ja die Kernaussage des Konstruktivismus. Individualismus hingegen betont vielmehr, dass das Individuum das Lernen soll, was es zur Entfaltung des Selbst, der Selbstverwirklichung braucht. Ich denke, letzteres betont eher die Inhalte, Konstruktivismus eher den Prozess.

    Hallo Joachim,
    hast mich goldrichtig verstanden!

    Und nochmals an alle zusammen,
    mit meinem Beitrag wollte ich Comenius Leistung nicht miskreditieren. Seine Forderungen zur gleichberechtigen Bildung sind hochaktuell (und werden es fürchte ich auch noch eine Weile bleiben).

    Trotz der sicherlich brillianten Ansätze finde ich aber, dass man Theorien immer, vor allem wenn sie Anspruch auf Allgemeingültikeit und Totalität erheben (die beste aller Möglichkeiten...) sehr kritische betrachten sollte.

    Vielleicht kommt es daher, das ich mich im Studium zu sehr mit kritischen Medientheorien, Utopien bzw. Dystopien beschäftigt habe. Aber wenn ich solche Versprechen lese, regt sich in mir einfach der Widerstand. Auch bin ich immer sehr vorsichtig mit dem Glauben an die Wunderwelt Technik (obwohl ich Fan bin) und ich denke, dass man bei all den sicher vorhandenen Möglichkeiten immer auch bedenken muss, dass es eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis, Intention und Realisierung gibt. Rein theoretisch ermöglicht das Internet die Teilhabe aller am Wissen aller. Praktisch gesehen, fehlen hier oftmals a) Zugangsmöglichkeiten, b) Medienkompetenz,... Ich möchte da nur schonmal die Schlagwörter "Digital Divide", "Lost in Hyperspace", etc. nennen.

    Aber ich denke, das sind Fragen, die wir vor allem im Rahmen der Medienpädagogik nochmals thematisieren werden. Ich freu mich schon drauf!

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